Der Titel ist «sprachaktuell» – und wählt die graphisch wohl mit Abstand adäquateste Form, zumindest eines der beiden Geschlechter (aber auch nicht mehr) grammatikalisch politisch korrekt zu schreiben (ein Großbuchstabe oder der zweckentfremdete Asterisk stören mich im stummen Lesefluss). So sensibilisiert, muss sich das Album freilich auch Fragen gefallen lassen wenn es inkonsequent wird. So ist im Booklet an einer Stelle von «weiblichen Komponierenden» die Rede (was mir zu abstrakt erscheint), verbunden mit der mir nicht ganz einleuchtenden Frage, warum es (jetzt ausführlicher zitiert) «im Bereich der Klassischen Musik noch kein einziges Album mit zeitgenössischen Cello Solo-Stücken von weiblichen Komponierenden» gibt. Dabei sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen: Wie groß ist überhaupt der Werkbestand? Vermutlich sind im 19. Jahrhundert (wie auch bei den männlichen Komponisten) nur wenigen konzertante Stücke entstanden (für Frauen stellte damals die Haltung des Instruments ohnehin ein Problem dar). Wer hat (auf einer neutralen Ebene) Interesse an einem solchen Album? Einzelne Komponistinnen, Cellistinnen – Labels? Eine solche Produktion (eigentlich jede Produktion) entsteht immer unter verschiedenen Aspekten, die glücklich zusammenfinden müssen. Überhaupt: Wurde eine Einspielung der Solosuiten von Bach jemals «vergoldet»? Bei sinkenden Verkaufszahlen liegt die Grenze derzeit bei 100.000 Exemplaren…
Viel lieber habe ich mich dann doch dem Hören zugewandt. Freilich schwingt auch hier in manchen der zeitgenössischen Werke ein wie auch immer geartetes Engagement mit – politisch oder den Klimawandel (früher sagte man einfach: ökologisch). Manch hermeneutisch offenkundige Partitur muss sich allerdings die Frage gefallen lassen, mit welcher Halbwertszeit sie unterwegs ist. Eine Gegenposition findet sich bei Teresa Grebchenko: «Ich möchte gar nicht politisch sein, ich bin es aber, da ich meine Kunst in dem Moment als politisch betrachte, in dem sie in die Öffentlichkeit gelangt.» Tatsächlich ist es ihre Komposition I am (2023) für singende Cellistin, die eine selbstkommentiere Form des Ausdrucks darstellt, Jahrhunderte überbrückt und zwischen Emotionen und Photonen vermittelt. Elisenda Fábregas greift mit ihren Danses de la terra (2020) auf das mit dem Violoncello verbunden klassische Idiom zurück, ohne es nur zu zitieren, während Judith Shatin mit For the Birds (2005) einen interessanten Wechselgesang mit elektroakustischem Zuspiel gestaltet hat. Dem AA-GA I (1984) von Younghi Pagh-Paan hört man das Jahrzehnt seiner Entstehung fast an – weitaus zeitloser wirken dagegen die Sept Papillons (2020) von Kaija Saariaho. Ihre ausdrucksstarke, persönliche und unmittelbar sprechende Musik wird zweifelsohne auch noch in den kommenden Jahrzehnten gespielt werden. – Sophie-Justine Herr bringt auf diesem Album alle Werke sowohl technisch als auch interpretatorisch auf den Punkt. Klanglich hätte ich mir indes bei den Sept Papillons eine innigeres Verhältnis zur Wärme des Instruments gewünscht.
Younghi Pagh-Paan. AA-GA I (1984); Kaija Saariaho. Sept Papillons (2020); Judith Shatin. For the Birds (2005); Elisenda Fábregas. Danses de la terra (2020); Teresa Grebchenko. I am (2023)
Sophie-Justine Herr (Violonello)
PASCHENrecords PR 240086 (2023)
- :innen / Sophie-Justine Herr