18. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Dvořák / Nathalie Stutzmann

Dvořák / Nathalie Stutzmann
Dvořák / Nathalie Stutzmann
Die Sinfonie hört man (fast) zu oft, die Suite hingegen viel zu selten – oder nie. Tatsächlich beschränken sich die «amerikanischen» Jahre von Antonín Dvořák in ihrem kompositorischen Ertrag keineswegs nur auf die eine Sinfonie oder das eine Streichquartett. Und man darf sich auch sonst fragen, was alles Dvořák in dem weitläufigen Land alles nicht gesehen hat. Freilich spielte im ausgehenden 19. Jahrhundert die Musik vor allem an der Ostküste. Dort setzte man große Hoffnungen in den berühmten Böhmen, dass er eine genuin «amerikanische» Musik erschaffen könnte. Heute mag dieser Wunsch fast ein wenig «industrialisiert» erscheinen: Man denkt sich ein Produkt aus und erteilt einen Auftrag zur Produktion. Kunst und Kultur als Objekt des Projektmanagements. Schon damals.

Gut, dass sich Dvořák davon nicht beeindrucken ließ und trotz mancher Zitate und Allusionen seinem ganz eigenen Stil folgte – und der klingt sogar aus der Ferne erstaunlich nach Heimat. Nationale Adjektive allein reichen eben nicht aus, aber sie können die Imagination wecken. Das spürt man auch in der Suite, die genauso gut «tschechische» heißen könnte – aber halt! Die gibt es ja schon als op. 39. Dvořák hat jedenfalls «drüben» eine wunderschöne kleinformatige Partitur geschaffen, die sich tatsächlich als «Vorspiel» zur großen Sinfonie bestens eignet. Abgesehen von der Kombination verstehen es Nathalie Stutzmann und das Atlanta Symphony Orchestra mit beiden Werken zu glänzen. Schon früher (noch bei Telarc und unter der Leitung von Robert Shaw) war das Orchester eine gute Adresse für satte und süffige Einspielungen. Daran schließt Nathalie Stutzmann als musikalische Leiterin des Klangkörpers an. Allerdings sollte man sich von der polierten Oberfläche (so schön sie auch ist) nicht blenden lassen. Es gibt eben doch Stellen, die anders ausgehört werden sollten (auch bei einem Live-Mitschnitt). Und so fehlt es der Sinfonie in den entscheidenden Momenten bei allem Feuer am mitreißenden Zug, vor allem aber an Atmosphäre. Nicht jedoch an Musikalität.

Antonín Dvořák. Suite A-Dur op. 98 «Amerikanische Suite», Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95 «Aus der Neuen Welt»
Atlanta Symphony Orchestra, Nathalie Stutzmann

Erato 502173226379 (2023)

https://open.spotify.com/intl-de/album/2wQF5ZqTDRWCKmQA1KfcFK

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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