Auch wenn das Album nur eine Spielzeit von knapp 48 Minuten aufweist: Man wird wahrlich weit mehr Zeit, ruhige Zeit, aufwenden müssen, um sich mit den hier exponierten Klanggestalten von Javier Quislant (*1984) vertraut zu machen. Die vier Sätze von Sinuoso Tiempo (2019–2021), was soviel bedeutet wie «gewundene Zeit», werden dabei im Untertitel als «Cycle for String Quartet» bezeichnet – eine Bezeichnung allerdings, der der recht flexible Ablauf des Werks kaum entspricht, ihr sogar zuwider läuft: So gibt der Komponist selbst an, dass der (zuerst entstandene) 4. Satz auch unabhängig gespielt werden kann, ferner sind auch verkürzte Aufführungen der Kombinationen 1+2, 1+3, 2+3, 2+4, 3+4, 1+2+3, 1+3+4 sowie 2+3+4 möglich. Oder anders: sofern man immer eine konsekutive Folge mit möglichen Auslassungen annimmt, sind allein die Abfolgen 1+4, 1+2+4 nicht gestattet.
Davon abgesehen geht es auf eine mehrteilige Entdeckungsreise in die Welt des Klangs, der sich im Streichquartett über den gesamten Ambitus der Instrumente (und ihrer Spielweisen) als besonders homogen darstellt und daher schon seit Jahrhunderten zu immer wieder neuen Gestalten anregt. Javier Quislant wählt den Weg des Experiments, der Beobachtung und des sorgfältigen Notats. Bereits die im Booklet abgedruckten acht Takte aus dem 2. Satz offenbaren eine systematisch durchgearbeitete Faktur, die jedoch in der Realität der Aufführung zu verschwimmen scheint (ob beabsichtigt oder nicht). Abgesehen von den für nur wenige Momente beibehaltenen Spielweisen, ostinaten Tönen, Rhythmen oder Modellen leben die Verläufe auch von der gelegentlichen Verdichtung oder dem Ausfransen des Satzes. Diskurs, Vielfalt, Farbe, weißes Rauschen. Mit diesen Begriffen wird schon in der Einführung versucht, das Geschehen näher zu beschreiben; auch isorhythmische Verfahren liegen hinter den Gestalten. Allerdings ist es hier wie im 15. Jahrhundert eher ein Verfahren für die Augen oder der Versuch, eine musikalische Strecke fester zu determinieren. Die Einspielung mit dem Streichquartett des Klangforum Wien wirkt in dieser Studio-Produktion recht nüchtern. Offen bleibt, ob sich die aufeinander reagierenden Klänge auch emotionaler «erzählen» lassen.
Javier Quislant. Sinuoso Tiempo (2019–2021)
Klangforum Wien
KAIROS 0022014 KAI (2022)