20. April 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Adès: Concerto, Totentanz – Gerstein / Bosten Symphony Orchestra / Adès

Adès: Concerto, Totentanz – Gerstein / Bosten Symphony Orchestra / Adès
Adès: Concerto, Totentanz – Gerstein / Bosten Symphony Orchestra / Adès

Es ist ein gutes Zeichen, wenn ein Komponist auch als Instrumentalist und Dirigent präsent ist. Die Musikgeschichte hat mit dieser Konstellation bis zur Klassische Moderne beste Erfahrungen gesammelt: von Brahms und Mahler über Bartók und Hindemith bis Strawinsky. Auch wenn in keinem Fall eine auktoriale Aufführungstradition begründet wurde (so einst die ausdrückliche Motivation von Max Reger), waren die Komponisten doch die besten Promoter des eigenen Schaffens. Zwischenzeitlich ein wenig aus der Mode gekommen, finden sich solche Doppelfunktionen derweil wieder häufiger.

Thomas Adès ist dabei einer der prominentesten Akteure – und doch versteht man die alte Sorge der Verleger, dass die auch das Schaffen befruchtende Auseinandersetzung in der musikalischen Praxis dem Komponisten zu viel Zeit rauben könnte. Andererseits ist es gerade die Vertrautheit mit den Traditionen, die sich in den eigenen Werken widerspiegelt, in Struktur, Form und Instrumentation, aber auch thematisch wie in der Stringenz der Motivik. So kann Adès bei seinem Klavierkonzert (2018) ganz ohne poetischen Titel auskommen: dreisätzige Anlage und Satzcharaktere nehmen maßgebliche Momente der Gattung auf. Auch stilistisch bewegt sich die Musik von Adès auf sicherem und spontan rezipierbarem Terrain im Klangraum irgendwo zwischen Gershwin, Ravel und Bartók, ohne allerdings eklektizistisch zu sein.

Auch der Totentanz (2018), dessen Text auf das mittelalterliche Fries aus der Lübecker Marienkirche zurückgeht, imponiert durch seine Ausdruckskraft, die mit ihrer Intensität, der flexiblen Tonalität und offenkundigen Allusionen stark an Alban Berg erinnert, im Tonsatz aber planer bleibt. Dass der letzte Abschnitt (Das Kind) unvermittelt in einen fast schon zitathaften Mahler’schen Duktus fällt, überrascht dann aber doch. Satter Orchesterklang, sich stimmlich ergänzende Vokalsolisten wie auch ein brillanter Kirill Gerstein machen die Aufnahmen zu einem Erlebnis – auch wenn am Ende ein gewisses Unbehagen bleibt, ob diese Art der musikalischen Sprache und Grammatik nicht doch zu sehr mit den Materialien der Vergangenheit spielt, statt sich der Gegenwart zu stellen.


Adès conducts Adès: Concerto for Piano and Orchestra (2018), Totentanz (2012)
Kirill Gerstein (Klavier), Christianne Stotijn (Mezzo), Mark Stone (Baritone), Boston Symphony Orchestra, Thomas Adès

Deutsche Grammophon 483 7998 (2016, 2019)

 

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