27. September 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Schumann, Bruch / Niek Baar

Schumann, Bruch / Niek Baar
Schumann, Bruch / Niek Baar

Es dürfte spannend werden, wenn man den jungen niederländischen Violinvirtuosen Niel Baar beim Wort nimmt. Denn seine Aufforderungen nach «unbekanntem Repertoire» Ausschau zu halten, liest sich wie eine Selbstverpflichtung. Doch welches Repertoire ist «unbekannt»? Für manche Musikliebhaber ist es bereits das Violinkonzert von Robert Schumann, für andere das Violinkonzert (1869) von Albert Dietrich, für dritte wieder ganz andere Kompositionen. So ehrlich, freimütig und erfrischend die Formulierung im Moment klingen mag – so wird sie doch erst im Zusammenspiel mit dem jeweiligen Vertragslabel auf die einer oder andere Weise wirklich Realität. Jedenfalls muss man sich Sorgen um den Betrieb machen, wenn Niel Baar an gleicher Stelle darauf hinweist, dass er als Experte für das Schumann-Konzert gilt – obwohl es bei ihm nur «mindestens einmal pro Saison» auf dem Programm steht.

Es lohnt sich daher immer auch zwischen den Zeilen zu lesen. Dann erscheint die Zusammenstellung dieses Portrait-Albums gar nicht so abwegig: Da wird die Produktion mit dem etwas kantig-statischem Tutti des Schumann-Konzertes eröffnet (das Werk erweist sich leider noch immer als Geheimtipp), bevor dann doch in der zweiten Hälfte (fast möchte ich sagen: auf weiterhin unvermeidliche Weise) die Nr. 1 von Max Bruch gespielt werden «muss». Beide Werke zusammen funktionieren gut – sie liegen in ihrer Entstehung nur knapp ein Jahrzehnt auseinander und repräsentieren das Violinkonzert in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf geradezu ingeniöse Weise. Und doch: Ich habe den Schumann schon viel konturierter gehört, selbst bei Bruch wäre mehr Potenzial. Zudem erscheint mir die Deutsche Radio Philharmonie unter Christoph Poppen zu begleitend und «dienlich» – und zwar in einer Weise, bei der die Einspielung rasch an Kontur verliert. Souverän gespielt und gestaltet ist von der Niek Baar nachgesagten Leidenschaftlichkeit und Obsessivität allerdings kaum etwas zu verspüren – der bekannte Gegensatz von Live-Performance und Studioaufnahme.


Robert Schumann. Konzert für Violine und Orchester d-Moll WoO 1; Max Bruch. Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 g-Moll op. 26
Niek Baar (Violine), Deutsche Radio Philharmonie, Christoph Poppen

Channel Classics CCS 46724 (2023)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 2 von 3 in Michael Kubes HörBar #131 – Violinkonzerte

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